Geleitwort

Bis zum Ablauf der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts war die Stereoskopie vom allgemeinen Interesse getragen. Fachgelehrte, Optiker und Liebhaber bemühten sich um ihren wissenschaftlichen und praktischen Ausbau, und das Stereoskop in mannigfaltigen Formen hatte eine Verbreitung, wie es sie bis jetzt noch nicht wieder erreicht hat. Wohl mit bedingt durch die Erschöpfung der Möglichkeiten der Zeit trat jedoch bald darauf ein Niedergang der Stereoskopie ein, der zu einem langen in jeder Hinsicht bedauerlichen Tiefstand führte. Erst um die Jahrhundertwende fing die Stereoskopie langsam an, sich wieder zu erholen; bald aber ging sie mit schnellen Schritten, zuletzt in ungeahntem Aufschwung, weiter.

In der Liebhaber-Stereoskopie besann man sich wieder auf die physiologischen Grundlagen der stereoskopischen Erscheinungen und räumte mit der „Puppenstubenplastik" auf. An Stelle der meist unphysiologischen, vielfach unbeholfenen und unschönen Aufnahme und Betrachtungsapparate traten den Gesetzen des Sehens entsprechende, handliche und den Geschmack befriedigende Instrumente. Der Berufsphotograph beginnt, wenn freilich auch noch erst zögernd, die stereoskopische Bildnis- und Heimaufnahme zu pflegen. Vor allem aber findet die Stereoskopie auf wissenschaftlicher Grundlage und im Verein mit den neueren Errungenschaften der Technik auf dem Gebiete dieser und der Industrie ausgebreitete Verwendung. In erster Linie sei des weiten Feldes der Stereophotogrammetrie zu Zwecken der Land- und Wasservermessung von der Erde und von der Luft aus gedacht, dann der vielfachen Anwendung, die die Stereoskopie in der Medizin gefunden hat, sei es als Oberflächen- oder als Röntgenstereoskopie. In der Architektur und im Konstruktionsbau dient die Stereoskopie nicht nur zur anschaulichen bildlichen Wiedergabe, sondern auch zur Kontrolle eintretender Veränderungen, sogar in dynamischer Hinsicht, z. B. bei Belastungsdeformationen. Handel und Industrie fangen an, zu Werbezwecken mit der stereoskopischen Darstellung ihrer Waren und Erzeugnisse zu arbeiten, dadurch, daß sie stereoskopische Katalogblätter verwenden. Das Gleiche tun Kunst und Kunstgewerbe. Die Materialprüfung verdankt der, Stereoskopie, besonders der mikrophotographischen und röntgenographischen Fortschritte und Sicherheiten, die sich auf anderen Wegen kaum hätten gewinnen lassen. Selbst auf scheinbar so abgelegenen Gebieten, wie etwa Pyrometrie und Kriminalistik, ist die Stereoskopie als geschätzte Helferin eingesprungen. Das die Wissenschaften im engeren Sinn von ihr weitgehenden Gebrauch machen, braucht wohl nur angedeutet zu werden. So, um nur einige zu nennen, die Astronomie, die Mineralogie und Kristallographie, der mathematische Unterricht; ferner die archäologische Forschung, die Geographie, die Länder- und Völkerkunde in der Darstellung von Menschen-, Tier- und Pflanzentypen. Einbesonderes Kapitel bilden die eigentlichen und uneigentlichen mikrostereoskopischen Verfahren, die Makro- und Mikro-Farbenstereoskopie, die stereoskopische Projektion mit Einschluß des Anaglyphenverfahrens. Ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, kann zusammenfassend gesagt werden: Überall, wo etwas bildlich (heutzutage fast ausschließlich photographisch) der räumlichen Lage seiner Einzelteile nach eindringlich dargestellt werden soll, arbeitet die Stereoskopie oder ist sie am Platze.

Infolge dieses weiten Bereiches der Stereoskopie wird es aber dem Arbeiter auf dem einzelnen Sondergebiet immer schwieriger, den ganzen Umfang der Stereoskopie durch die weit verstreute Literatur zu verfolgen. Und doch kann jeder, mag er Forscher oder Liebhaber sein, mag er ein wissenschaftliches oder ein Handelsinteresse an der Stereoskopie nehmen, nur dann alle Möglichkeiten zu nutzbringender Verwendung ausschöpfen, wenn er über das ganze Gebiet der Stereoskopie und ihre Grenzgebiete laufend unterrichtet ist. Was die Randgebiete betrifft, so sei hier nur auf die Frage der für die Stereoskopie geeigneten Methoden im Negativ-, Diapositiv- und Papierbildprozeß hingewiesen. Zum Zwecke der Auswahlmöglichkeit, ferner noch zur Vermeidung volkswirtschaftlich nutzloser Doppelarbeit in Konstruktionen usw. andererseits aber zur fördernden Anregung, ist eine Obersicht über die neuesten Instrumente, Apparate und Verfahren nötig. Es bedarf also, um alle Werte aus der Stereoskopie herauszuholen, auch einer gewissen Kenntnis von dem, was in den weit zerstreuten Werbeschriften, Katalogen, Patent- und Gebrauchsmusterschriften zu finden ist.

Über alle diese Gebiete will DAS RAUMBILD, Spezialzeitschrift für die gesamte Stereoskopie und ihre Grenzgebiete, möglichst vollkommen unterrichten. Historische Aufsätze sollen den Einblick in das Wesen und Werden der Stereoskopie vertiefen, während Originalaufsätze aus der Feder berufener Autoren eigene und fremde Fortschritte beleuchten werden. Vor allem aber sollen laufend kurze Referate aus allen Sondergebieten eine möglichst vollständige Zusammenstellung der Weltliteratur über Stereoskopie bringen, soweit sich dies überhaupt ermöglichen läßt.

Die Schriftleitung hofft, unterstützt von fachkundigen Mitarbeitern, der Stereoskopie zu dem heute notwendig gewordenen sammelnden und sichtenden Organ zu verhelfen, das allen berechtigten Ansprüchen Genüge leistet.

Der Anfang sei mit dem vorliegenden Heft gemacht.

In Anerkennung des Umstandes, daß meine Zeitschrift einem allgemeinen Wunsch entspricht und zur Bereicherung von Kunst und Wissenschaft wertvolle Dienste zu leisten in der Lage ist, haben die nachstehenden Herren, denen ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche, ihre Mitarbeit in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.

Generalmajor van Albada, Bloemendaal -Dipl.-Ing. Newton Arfsten, Berlin - Ingenieur Curt Beyerlen, München - Major Franz Boehm, Landsberg a. L. - Dipl.-Ing. Walter Brucklacher, Jena - Curt Calov, Berlin - Professor Dr. Josef Daimer, Wien - Dozent Dr. Hans Dock, Wien - Professor Dr. Drüner, Quierschied - Dr. Rudolf Gussenbauer, Wien - Universitätsprofessor Dr. Hasselwander, Erlangen - Fachschullehrer Wilhelm Hofinger, München - E. G. Holl, Dresden - Dr. med. H. Köhnle, Düsseldorf - Dr. F. Luft, Leipzig - Luftschiffbau Zeppelin G. m. b. H., Friedrichshafen - Reg.-Rat Dr. Ing. H. Lüscher, Berlin - Professor Dr. Ing. Marmet, Berlin -- Reg.-Rat Dr. Friedrich Morton, Hallstatt - Ministerialamtmann W. Nebhuth, Berlin - Dr. Ing. G. Nidetzky, Wien - Marinegeneralarzt a. D. Dr. Albrecht P. F. Richter, Glindow - Professor Dr. C. Rumm, Künzelsau - Dr. Sarnetzky, Essen - Studienrat K. Schallopp, Berlin - Kustos Dr. Alfred Schmidt, Nürnberg - Professor Dr. B. Seegert, Berlin-Charlottenburg - Professor Dr. Erich Stenger, Berlin-Charlottenburg - Kurt Lothar Tank, Berlin - Dr. Ing. G. Traub, Berlin - Kustos Dr. Josef Wastl, Wien - Generalrepräsentant Dr. Weixler, München - Hofrat Ing. Franz Winter, Wien - Professor Dr. Zeller, Zürich - Dr. Ing. Mario Zippermayr, Wien - Hauptschullehrer Franz Zuschrott, Wien.

Diessen a. Ammersee, den 15. Jan. 1935.                                                            Otto Schönstein

Aus DAS RAUMBILD 1. Jahrgang, Heft 1 vom 15. Januar 1935. Text überarbeitet von D. Schulte)