DIE GESCHICHTE DER STEREOSKOPIE

Es ist für jeden, der sich ernsthaft mit den Problemen des optischen Raumbildes beschäftigt, sehr lohnend und reizvoll, sich mit den grundlegenden Tatsachen aus der Geschichte der Stereoskopie vertraut zu machen und die aus den gesammelten Erfahrungen abgeleiteten Erkenntnisse bis zu ihren ersten Anfängen zurück zu verfolgen.

Bereits EUKLID, der 300 Jahre v. Chr. in Alexandria Mathematik lehrte, wußte, daß die voneinander abweichende Perspektive der beiden Netzhautbilder des menschlichen Auges den Raumeindruck vermittelt und stellte für die drei Dimensionen Maßbeziehungen auf. Später, etwa 150 Jahre n. Chr. hat GALEN als medizinischer Schriftsteller der griechisch-römischen Epoche wohl als erster eine Erklärung des Zusammenwirkens beider Augen für die Entstehung des stereoskopischen Sehens gegeben. Die Maler des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich eingehend mit Perspektive und Raum befaßten, versuchten hin und wieder mit unzureichenden Mitteln stereoskopische Halbbilder zu zeichnen. Die deutlich wahrnehmbare optische Darstellung des Raumes gelang erst nach der Erfindung der Fotografie.

Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts machte der geniale englische Physiker Charles WHEATSTONE, der durch seine Messungen des elektrischen Widerstandes (Wheatstonesche Brücke) und die Erfindung der elektrischen Klingel bekannt geworden ist, ganz zufällig eine seltsame Entdeckung. Als er sich bei akustischen Versuchen mit der Herstellung der sogenannten Chladnischen Klangfiguren beschäftigte, beobachtete er, daß der von einer brennenden Kerze ausgehende, auf einer an der Drehbank polierten Metallplatte durch Spiegelung entstehende Lichtstrahl bei der Betrachtung mit beiden Augen nicht flach auf der Metalloberfläche lag, sondern sich aus deren Ebene in den Raum heraushob und zwar vorn über und hinten unter die Platte. Dieses Urphänomen eines Stereoeffektes verschwand bei Betrachtung mit nur einem Auge sofort und der Lichtstrahl sank flach auf die ebene Metallplatte zurück. Die klassische Mitteilung seiner für die Stereoskopie grundlegenden Beobachtungen machte WHEATSTONE in seinem am 21. Juni 1838 vor der Royal Society in London gehaltenen Vortrag, der noch im gleichen Jahr in den Philosophical Transactions als erste wegweisende Angabe über Stereoskopie in der Weltliteratur gedruckt wurde. Wheatstone blieb aber dabei nicht stehen, sondern suchte seine Erkenntnisse durch weitere Forschungsarbeiten wissenschaftlich zu untermauern. Zunächst begann er damit, die beiden zusammengehörigen, aber von jedem Auge an einer anderen Stelle auf der Metallplatte wahrgenommenen gespiegelten virtuellen Lichtlinien nachzuzeichnen und suchte dies durch geeignete Betrachtung zu einer einzigen, die Zeichenebene durchdringende und im Raum stehende Linie zu vereinigen. Nachdem ihm dies gelang, ging er dazu über, die Begrenzungslinien mathematischer Körper in Bildpaaren mit entsprechend den beiden Netzhautbildern verschiedener aber sich ergänzender Perspektive zu zeichnen und schuf damit in genialer Weise, ausgehend von der zufälligen Beobachtung einer Alltagserscheinung, die Grundlagen zu weiterer Forschungsarbeit.

Die Entdeckung der Fotografie fällt mit der geschichtlichen Entwicklung der Stereoskopie zeitlich zusammen und ist mit ihr eng verbunden. 1822 hatte NIEPCE als erster mit der Camera obscura körperliche Gegenstände aufgenommen und 1837 war es DAGUERRE gelungen, mit Hilfe lichtempfindlicher Silbersalze auf einfachste Weise dauerhafte Bilder zu erzeugen. Am 19. August 1839 wurde das Daguerresche Verfahren zur Gewinnung fotografischer Bilder auf Silberschichten in der Akademie der Wissenschaften zu Paris öffentlich bekannt gegeben und da auch die Camera obscura mehr und mehr zu einer zwar noch einfachen, aber durchaus brauchbaren Linsenkamera entwickelt wurde, breitete sich die Daguerreotypie in aller Welt rasch aus. Es lag nun nahe, die zu einem Stereogramm gehörigen bisher nur gezeichneten Halbbilder auf fotografischem Wege zu gewinnen.

In der Frühzeit der fotografischen Stereoskopie benutzte man zunächst für die optische Wiedergabe des Raumes nur eine einlinsige Kamera, die man zur zweiten Aufnahme seitlich verschob, oder zwei nebeneinandergestellte Einzelkameras. Das Jahr brachte der Stereoskopie eine unvorstellbare Blütezeit, die sie später nie wieder erlebte. Da sich aber jedermann im Rausch des völlig Neuen unbekümmert um die aus dem biologischen Vorgang des naturbedingten Raumsehens leicht abzuleitenden Gesetzmäßigkeiten mit blindem Feuereifer auf die Stereoskopie stürzte und in diesem Raumbildrummel die Unkundigen mit allen möglichen grundfalschen Ratschlägen und Anweisungen bombardiert wurden, war das vorzeitige Ende dieser von Anfang an vergifteten Scheinblüte vorauszusehen. So bringt beispielsweise A.WEISKE die damals allgemein gültige Meinung über die einzuhaltenden Aufnahmebedingungen in seinem weltverbreiteten „Handbuch des Pannotypisten" (Leipzig 1859) folgendermaßen zum Ausdruck. „ Nun sind freilich die beiden Augen im Antlitze nur etwa 2 1/2 Zoll voneinander entfernt und so nahe kann man doch die Objektive und die in jeder Kamera befindlichen präparierten Platten einander nicht bringen, allein es ist dies durchaus kein Nachteil, sondern es ist vielmehr nötig, daß man den Objektiven eine größere Entfernung voneinander gibt, als die Augen haben, wenn der stereoskopische Effekt in den erhaltenen Bildern recht deutlich hervortreten soll. Wenn man z. B. die Kameras zehn mal 212 Zoll also 25 Zoll weit voneinander stellt, so erhält man zwei Ansichten, die ein Bild des Gegenstandes liefern, wie man ihn erblicken würde, wenn die Augen im Kopfe 25 Zoll weit voneinander stünden. Nun ist es klar, daß je weiter die Augen voneinander entfernt wären, desto auffallender und deutlicher uns auch die Körperlichkeit der Gegenstände erscheinen würde." Es ist einleuchtend, daß beispielsweise eine aus einer Entfernung von wenigen Metern mit stark gewinkelten Objektivachsen nach dieser Vorschrift aufgenommene Personengruppe im Raumbild zwangsläufig völlig verzerrt und in einer kaum erträglichen phantastischen Überplastik wiedergegeben wird. Es fehlte damals nicht an warnenden Stimmen. So schrieb MARTIN im „Neuesten Repertorium der gesamten Photographie" (Wien 1856): „Bei den gewöhnlichen käuflichen Photographien, die man für das Stereoskop verwendet, ist das Relief auf grobe Weise übertrieben, und der Fehler, welchen die Verfertiger dieser Bilder begehen, besteht darin, daß sie Gesichtspunkte annehmen, welche viel zu sehr voneinander abweichen", und KREUTZER in einer Schrift „Über das Stereoskop" (Wien 1856) : „Einige Photographen begnügen sich nicht mit dem normalen Verfahren, sondern rücken die Objektive noch. weiter auseinander. Sie erzeugen dadurch Bilder, die ein weit stärkeres Relief liefern als die Natur darbietet, die man auf keine Weise durch das Gesicht erhalten kann, und die im Stereoskop wohl schnell und auffallend die Körperlichkeit zeigen, bei längerer Betrachtung alsbald ihre Verzerrtheit darlegen und unangenehm werden." In „Liesegangs Photographischem Archiv 10" 1869 ist zu lesen, „daß falsch aufgenommene Stereobilder Schmerzen im Gehirn verursachen".                        

Bild 1 zeigt wie nach damaliger Ansicht „ein plastisch wirkendes Lichtbild" zu erzeugen ist. Man beachte den viel zu großen Abstand der beiden Kameras und die dadurch erzwungene starke Winkelung der auf die dicht vor der Apparatur stehenden Büste gerichteten Objektivachsen.Trotz der sehr berechtigten Hinweise auf die begangenen Fehler, die zunächst wenig Beachtung fanden, zeigte sich das große Publikum stark beeindruckt und lebhaft interessiert, so daß das fotografische Stereobild sehr bald zu einem beliebten und weit verbreiteten Handelsartikel wurde. Allerdings waren die als sogenannte „Akademien" vertriebenen Silberplatten noch ziemlich teuer. Die Hochflut setzte erst ein, als die Daguerreotypen durch Bilder auf Glas abgelöst und dadurch die Massenherstellung von preiswerten Stereobildern auf Papier ermöglicht wurde. Auch Stereodias gab es bereits, da man schon damals den besonderen Reiz von Durchsichtsbildern erkannte.                                     

Um 1853 fand der in Bild 2 wiedergegebene nach einem amerikanischen Patent konstruierte in Buchform zusammenklappbare Stereobetrachter von MASCHER weite Verbreitung. Auch die hierzu gelieferten Bilder zeigten einen stark übertriebenen Stereoeffekt und die Raumtiefe in besonders unnatürlichem Ausmaß verzerrt. Da die beiden Halbbilder auf den damals allgemein üblichen Stereo-Großformaten einen größeren Abstand voneinander hatten als die dem normalen Augenabstand angepaßten  einfachen Betrachtungslinsen, traten außerdem infolge der hierdurch erzwungenen Sehstrahlendivergenz besonders bei längerer Betrachtung von Bildserien quälende und Kopfschmerzen verursachende Verschmelzungsstörungen auf Es folgten die Angebote weiterer Taschen-Kastenstereoskope verschiedenster Bauart. Da nahezu jede Familie im Besitz eines oder mehrerer derartiger Betrachtungsgeräte war und man sich hierzu ganz noch Wahl Bilder kaufen konnte etwa wie wir heute eine illustrierte Zeitschrift, haftete der Stereoskopie in der Zeit ihrer Hochkonjunktur etwas Lächerliches an, das die Spottlust geradezu herausforderte. Man sprach von „Stereoskopomanie" und untergrub durch Karikaturen das Ansehen und die Bedeutung einer genialen Entdeckung (siehe Bild 3).

Lange schon vor der Jahrhundertwende fand die Glanzzeit der Stereoskopie ihr Ende. Die große Masse wurde sich der Stereoverirrungen nicht bewußt, im Gegenteil, sie ergötzte sich eine Zeit lang an dem Übermaß des Gebotenen, an der übertriebenen Raumwirkung und erkannte nicht die Unnatur dieser allen Gesetzen der Ästhetik hohnsprechenden bildlichen Darstellung. Geschmacklose Atelieraufnahmen von Personengruppen im Sonntagsstaat und Paradeaufstellung vor gemalten Hintergründen gab es in der Fotografie von Anfang an in Hülle und Fülle. Als stereoskopische Großbasisaufnahmen wirkten diese sogenannten Familienbilder in ihrer „Puppenstubenplastik" mit den in den Raum hineinragenden Nasen und ähnlichen Tiefenverzerrungen geradezu grotesk. Noch schlimmer wurde der Kitsch als man anfing, diese Stereobilder mehr oder weniger schlecht zu kolorieren und sogar nicht davor zurückschreckte, Löcher in die Schicht zu kratzen, um das Flimmern von Lichtern, Reflexen, der Sterne oder des Mondes vorzutäuschen. Zuletzt zeigten sich auch Zerfallserscheinungen sittlicher Natur, da schließlich alles aufgenommen wurde, was überhaupt einen Körper hatte vom Akt bis zur übelsten Pornografie, die von geschäftstüchtigen Händlern an einer Pariser Boulevardecke schamlos angeboten wurde.

Ohne sich um diese Entgleisungen zu kümmern, gingen die Forscher unbeirrt ihren Weg und bauten ihre Entdeckungen und Erkenntnisse auf wissenschaftlicher Grundlage weiter aus. Das bereits 1833 von WHEATSTONE konstruierte Spiegel- und spätere Prismenstereoskop verbesserte der englische Physiker David BREWSTER und konstruierte ein Betrachtungsgerät, das die Montage der beiden Halbbilder nebeneinander auf einer Fläche gestattet. Dieses Brewstersche Stereoskop, das mit keilförmig angeordneten Linsenprismen versehen war, hat damals eine große Bedeutung erlangt, da nicht nur die Strahlen nach den Bildmitten, die infolge der üblichen großen Formate divergent verlaufen, den Augen parallel zugeführt werden, sondern auch durch die zusätzliche Linsenwirkung das Auftreten von Akkommodations- schwierigkeiten vermieden wird. Es wurde in Kastenform benutzt, war aber hauptsächlich als offenes sogenanntes „amerikanisches Stereoskop" (siehe Bild 4) weit verbreitet. Durch die exzentrische Betrachtung liehen sich bei allen Prismenstereoskopen Verzeichnungen nicht vermeiden. Erst das viel später von HERMANN HELMHOLTZ eingeführte Linsen- stereoskop ergab bis in die Gegenwart die Konstruktionsgrundlage aller Betrachtungsapparate.

Die eigentliche Geburtsstunde der Amateurstereoskopie fällt in das Jahr 1849 als BREWSTER die erste Zweiobjektivkamera konstruierte. Es war wie Bild 5 zeigt noch ein sehr primitives Aufnahmegerät, ein einfacher Holzkasten bestehend aus zwei ineinanderschiebbaren Teilen, die man einfach bis zur Mattscheibenbildschärfe auseinander zog. Die Stirnwand trug zwei im Augenabstand fest angeschraubte Objektive gleicher Größe und Bauart. Mit einem Schlage waren jetzt alle durch einen zu weiten Objektivabstand und starker Winkelung der optischen Achsen bedingten Fehlerquellen beseitigt und es hätte dem Ansehen der Stereoskopie nicht so geschadet, wenn sich die Stereokamera sofort nach Brewsters grundlegender Beschreibung (Transactions of the Royal Scottisch Society of Arts 1849) allgemein eingeführt hätte. BREWSTER sah das Fiasko der damaligen Raumbildnerei voraus und bezeichnete die sich fest eingebürgerte Aufnahmemethode mit der gewinkelten Einzelkamera als „unbrauchbar zum photographischen Porträtieren". Er begründet seine Ansicht mit den Worten „sonst entstünden wohl Bilder einer Person, aber in einer Art, wie sie noch niemand gesehen hat oder überhaupt sehen kann, wenn er nicht seine Augen 20 Zoll weit auseinander ziehen könne. Es entsteht das Bild einer lebenden Puppe, an welcher Teile gesehen werden, die man in Wirklichkeit niemals von einem Standpunkt aus sehen kann. Keine wissenschaftliche Frage kann eine Sache des Geschmacks und keine Täuschung, welche eine falsche Darstellung der Natur ist, kann eine künstlerische sein."

Abgesehen von dem 1854 in „The Liverpool Photographic Journal" erwähnten „Quintoskop", das, nach dem Pariser Optiker QUINETT benannt, wenig Beachtung fand und allem Anschein nach als ein Plagiat der Brewsterschen Kamera zu werten ist, konnte sich jahrzehntelang kein Konstrukteur zum Bau einer Stereokamera entschließen. Es wurden deshalb verschiedene Versuche unternommen, die doppeläugige Kamera zu ersetzen. Von diesen Versuchen ist für die weitere Entwicklung von Stereogeräten nur die 1855 von F. A. BARNARD gemachte Erfindung von Bedeutung. Barnard stellte vor das Objektiv einer gewöhnlichen Kamera zwei durch ein Scharnier verbundene Glasspiegel (Knickspiegelvorsatz), in welchen sich das seitlich rückwärts neben der Kamera befindliche Objekt spiegelte. Die Winkelstellung der beiden Spiegel wurde so lange korrigiert, bis auf der Mattscheibe die beiden Stereohalbbilder nebeneinander lagen. Zum erstenmal wurde hier mit allen seinen Vor- und Nachteilen ein Spiegelvorsatz angegeben („Dinglers Polytechnisches Journal" 1855), der es ermöglichte, beide Stereohalbbilder mittels eines Objektivs auf einer Platte nebeneinander aufzunehmen. Eine ähnliche Wirkung erzielte auch der später von dem Engländer Brown angegebene Spiegelvorsatz, der durch Strahlenteilung ebenfalls zwei Stereohalbbilder nebeneinander auf dem Schichtträger entwirft und die Grundlage der heute viel gebräuchlichen Stereovorsätze bildet. Auch BARNARD verwarf die mit stark gewinkelten Einzelkameras aufgenommenen überall im Handel erhältlichen Stereobilder „deren Relief auf grobe Weise übertrieben sei, weil die Verfertiger solcher Bilder Gesichtspunkte annehmen, die viel zu sehr voneinander abweichen".

Von großer Bedeutung für die wissenschaftliche Stereoskopie wurden die Forschungsarbeiten von K. PULFRICH, der das Wheatstonesche Spiegelstereoskop bzw. das von HELMHOLTZ angegebene Telestereoskop wesentlich verbesserte und sich 1896 mit dem Ausbau des von dem Charlottenburger Ingenieur Hektor de GROUSILIER angegebene Prinzip des stereoskopischen Entfernungsmessers befaßte. Gekrönt wurde sein Lebenswerk durch den 1901 von ihm konstruierten Stereokomparator und den in Zusammenarbeit mit E. v. OREL geschaffenen Stereoautographen. Durch beide feinmechanischen Präzisionsgeräte wurde zum erstenmal die genaue Auswertung stereofotogrammetrischer Aufnahmen ermöglicht.

Um 1900, als das Allgemeininteresse an der Stereoskopie erloschen war und die in Familienbesitz befindlichen Stereogeräte auf Böden verstaubten oder als unverkäufliche Ladenhüter in den Ramschläden der Trödler standen, erregte das von AUGUST FUHRMANN in allen deutschen Großstädten aufgestellte „Kaiser-Panorama" noch einmal großes Aufsehen. Die durch eine durchscheinende Polychromierung unter Mitwirkung abgestimmter Farbblenden getönten Glasstereos wurden im Inneren einer Riesentrommel von einem Okularpaar zum anderen automatisch bewegt und wie Bild 6 zeigt, konnten die Beschauer die ganze Reihe der zu einem Zyklus vereinigten Bilder an sich vorüberziehen lassen, ohne ihre Plätze zu wechseln. Es war hier erstmalig gelungen, einem größeren Personenkreis eine geschlossene Bildserie vorzuführen, und so gewann das Kaiser-Panorama Bedeutung insbesondere für den Anschauungsunterricht ganzer Schulklassen. Das Unternehmen verlor indessen durch das Vordringen des Kinofilms immer mehr an Bedeutung, konnte sich aber nach dem ersten Weltkrieg (1914-1918) als „Weltpanorama" noch einige Jahre in Berlin halten.

Nach 1918 setzte mit den stetig fortschreitenden konstruktiven Verbesserungen der fotografischen Apparate und ihrer Objektive auch im Bau von Stereokameras eine stürmische Entwicklung ein und ein verhältnismäßig kleiner Kreis begeisterter Amateure gab dem Raumbildgedanken einen neuen Impuls. Im In- und Ausland brachten namhafte Firmen Balgen-, Spreizen- und Kastenstereokameras mit Objektiv-, Schlitz- und synchronisierten Spezialverschlüssen von der billigen Box bis zur raffiniert ausgeklügelten Präzisionskamera in den Handel. Die unsinnigen, mit dem Augenabstand nicht in Einklang zu bringenden Stereoformate 9 x 18, 8,5 x 17 und 10 x 15 cm verschwanden mehr und mehr. Aus Frankreich, dem klassischen Land der Stereoskopie, kamen die „Verascope" der Pariser Firma JULES RICHARD für die Formate 6 x 13 cm, 7 x 13 cm und 45 x 107 mm. Sie wurden richtunggebend für den Bau von Stereoapparaten. Vor allem war es das Format 45 x 107 mm, das sich auch in Deutschland stark durchsetzte, und als Vorläufer des heute allgemein üblichen Stereo-Kleinbildformates 41 x 101 mm auf perforierten Kinofilm zu betrachten ist.

Am 1. Januar 1920 wurde in Braunschweig „Franke & Heidecke" ausschließlich zu dem Zweck gegründet, in Spezialwerkstätten Stereo-Spiegelreflexkameras herzustellen. Aus diesen Werkstätten ging das „Heidoskop" und später, als der Film als Schichtträger seinen Siegeszug durch die Welt angetreten hatte, das in Bild 7 wiedergegebene „Rolleidoskop" hervor, Kameras, die neben dem „Stereflektoskop" von „Voigtländer & Sohn" Spitzenleistungen Deutscher Präzisionstechnik darstellten. Die verwendeten, nach damaligen Begriffen sehr kurzbrennweitigen Objektive (Tessare bzw. Heliare) ergaben einen großen Bildwinkel. Der zwischen den beiden Halbbildfenstern in der Kameramitte eingebaute Spiegelsucher, in dem das Sucherbild nicht wie bei anderen Spiegelreflexkameras durch das Aufnahmeobjektiv, sondern durch ein drittes zwischen den beiden Stereoobjektiven angebrachtes lichtstarkes Sucherobjektiv gleicher Brennweite entworfen wurde und daher nicht nur vor, sondern auch während und nach der Verschlußauslösung sichtbar blieb, verdient, besonders hervorgehoben zu werden. Auf der Mattscheibe dieses Spiegelsuchers erschien das helle Sucherbild aufrecht aber noch seitenverkehrt in der Originalgröße des Halbbildformates und die genaue Umgrenzung des Bildinhaltes konnte bereits bei der Aufnahme leicht festgelegt werden. Eine in der rechten unteren Mattscheibenecke auf dem Bild gut sichtbare Wasserwaage schützte vor Verkantung. Mit diesen Spiegelreflexkameras, die leider heute der Geschichte angehören, wurden dem Stereoskopiker Aufnahmegeräte in die Hand gegeben, die allen Anforderungen entsprachen und auch heute noch entsprechen würden. Neben allerlei Hilfsgeräten wie Stereo-Kopiernahmen sind Linsenstereoskopen aller Art standen dem Stereoamateur damals auch sehr sinnreich konstruierte Serienbetrachter für jeweils 25 Stereodias 6 x 13 cm und 45 x 107 mm zur Verfügung. Aus dem französischen „Taxiphot" der Firma J. RICHARD und dem „Stereodrome" von GAUMONT ist der Zeiss-Ikon „Multiplast" (siehe Bild 8) hervorgegangen, der in seinem Unterteil 12 und in einem Säulenschank noch zusätzlich 36 Einsatzkästen zu je 25 Diaplatten faßte, so daß sich der Amateur im Laufe der Jahre ein ganzes Archiv von mit wenigen Handgriffen betrachtungsfertigen Raumbildern zulegen konnte. Auch eine Beleuchtungs und Projektionseinrichtung war bereits vorhanden. Vielleicht wäre es bei diesem Aufwand gelungen, der Stereoskopie wieder die verdiente Geltung zu verschaffen und eine neue Glanzzeit einzuleiten, wenn sich nicht plötzlich erneut die allgemeine Aufmerksamkeit auf das politische Weltgeschehen konzentriert hätte. Die Vereine, in denen sich die Stereoskopiker fast die europäischen Länder zusammengefunden hatten, lösten sich auf und die hervorragende wissenschaftlich fundierte Monatsschrift „Das Raumbild" (OTTO SCHÖNSTEIN VERLAG, Diessen, Jahrgänge 1935 bis 1937) mit dem offiziellen Organ der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR STEREOSKOPIE stellte ihr Erscheinen ein. Der dann ausbrechende zweite Weltkrieg (1939 bis 1945), der so unermeßliche Werte zerstörte, hatte auch für die Stereoskopie katastrophale Folgen und begrub buchstäblich alle Errungenschaften unter seinen Trümmern. Die heranwachsende Jugend weiß heute kaum noch etwas vom Raumbild und es wird großer Mühe und Geduld bedürfen, der Menschheit das unbewußte Raumsehen wieder bewußt werden zu lassen.

Aus STEREOFOTOGRAFIE  von Werner Pietsch.