Das Tiefenauflösungsvermögen der Stereoskopie

Daß nur das Raumbild die Tiefengliederung der Objekte zur Gesicht bringt, ist zu bekannt, als daß es nochmal betont werden müßte. Wie weit dieses Auflösungsvermögen in die Ferne reicht, und wie es durch Verlängerung der Basis noch in weitere Ferne verlegt werden kann, darüber ist an dieser Stelle schon eingehend referiert worden.
Ich möchte lediglich an einem besonders geeigneten Beispiel zeigen, wie sehr das Raumbild befähigt ist, auch der Tiefe nach unentwirrbar erscheinende Objekte klar zu zergliedern. Dieser Vorzug tritt besonders bei solchen Aufnahmen zutage, welche z. B. Waldinneres, Schilfdickicht, Gerüstbauten, Holzhaufen, Steintrümmer und andere Material-Ansammlungen enthalten, deren gleichartige Struktur sich in die Tiefe erstreckt. Die im Flachbild wenig ansprechende scheinbare Wand an Baumstämmen, Schilfstengeln, Balken und Säulen wird im Raumbild der Tiefe nach aufgelöst und kommt daher zu ganz anderer Wirkung.
Das Einzelbild des beigegebenen Stereogramms wirkt zunächst langweilig und nichtssagend, weil in dem Gewirr von Balken, Stangen und Eisenträgern keinerlei Sinn und System erkennbar ist. Im Stereoskop aber wird der Aufbau sofort klar und das Raumbild als das des kunstvollen Gerüstes einer sogenannten „Achterbahn" erkennbar, wie sie auf jedem größeren Volksfest anzutreffen sind.
Solche Aufnahmen waren früher verpönt, erscheinen aber heute im Zeitalter der „neuen Sachlichkeit (das prädestinierte Gebiet der Stereoskopie!) mehr als gerechtfertigt. Fr. Boehm.

Aus DER STEREOSKOPIKER, Nr. 12 vom 15. Dez. 1931. Organ der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR STEREOSKOPIE e.V.  (© Text überarbeitet von D. Schulte)