Die Perspektive in der Stereoskopie.

Bei der einäugigen Photographie müssen zur Erzielung guter Perspektive - nicht immer mit Erfolg - alle möglichen Mittel angewendet werden, wie langbrennweitige Objektive, besondere Papiersorten usw. In der Stereophotographie ist derartiges nicht nötig, weil stets eire Perspektive, und bei richtigem Aufnahme- und Betrachtapparat auch stets eine natürliche vorhanden ist. Bekannt sind sicher die sogenannten „Scherzbilder", auf denen z. B. riesengroße Stiefelsohlen eines liegenden Alpinisten und weit hinten der Kopf sichtbar ist, oder eine weit vorgestreckte Hand gegenüber der dazugehörigen Person ungeheure Dimensionen annimmt, oder eine Kuh mit riesenhaftem Hinterteil. Der Grund dafür: der Gegenstand ist mit kurzer Brennweite aus zu großer Nähe aufgenommen. Fertigt man nun die gleiche Aufnahme als Stereobild an, so ist der Erfolg überraschend: der Stiefel oder die Hand schrumpft im Vergleich zur übrigen Person auf das natürliche Maß zusammen, wovon sich jeder (z. B. aus den im Saal für Optik des Deutschen Museums in München ausgestellten Stereobildern) überzeugen kann. Die Probe darauf wird so bewerkstelligt, daß man von nur einem Teilbild ein Doppelbild mit 65 mm Mittenabstand herstellt. Beim Betrachten bleibt dann der Stiefel oder die Hand ebenso unförmig wie bei der einäugigen Kopie. Die Stereoaufnahme verspricht stets eine natürliche Perspektive, auch wenn der Aufnehmende in dieser Richtung Fehler begeht. Aber nicht nur das; der Stereoskopiker hat es sogar in der Hand, die Perspektive zu regulieren, also noch in einer Entfernung plastisch zu sehen, wo für den nur mit zwei natürlichen Augen ausgerüsteten Menschen das räumliche Sehen bereits aufhört. Boehm.

Aus DER STEREOSKOPIKER, Nr. 1 vom 15. Jan. 1931. Organ der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR STEREOSKOPIE e.V.  (© Text überarbeitet von D. Schulte)