Ein neues Taschenstereoskop 6 x 13 (Aerotopo)

Es liegt in der menschlichen Natur begründet, daß man den Erfolg seiner Tätigkeit auf irgendeinem Gebiet nicht nur still für sich genießen will, sondern auch seinen Mitmenschen zugänglich machen möchte. Der Dichter will sein Poem gedruckt, der Maler sein Bild ausgestellt sehen, selbst wenn er dadurch noch nicht in den Genuß des heute mehr denn je lebenswichtigen „nervus rerum" kommt, sondern lediglich eine moralische Anerkennung findet. Der Wunsch nach dieser moralischen Anerkennung ist es auch, der den Amateurphotographen veranlaßt, seine Bilder Freunden zu zeigen, ihr Urteil einzuholen, und in vorgeschrittenem Stadium Ausstellungen und Preisausschreiben zu beschicken. Der ernste Amateur führt daher stets einige seiner neuesten und besten Aufnahmen bei sich, um sie zeigen zu können.

Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Photofreunden ist im Laufe der Zeit zu der leider noch viel zu wenig verbreiteten Erkenntnis gekommen, daß Erinnerungsbilder am besten im Stereobild wirken. Leider ist aber das Betrachten solcher naturwahren Raumbilder an die Benutzung eines Stereoskops gebunden, und dieser Umstand hält viele Lichtbildner davon ab, sich der so dankbaren Stereoskopie zu widmen. Die gebräuchlichen Gucker und sonstigen Betrachtungsapparate, für den Hausgebrauch gedacht und konstruiert, kann man vor allem nicht leicht mit sich führen, um auch anderen Personen das genußreiche Betrachten seiner Bilder zu ermöglichen.

Die hier beigefügten drei Abbildungen zeigen nunmehr ein soeben von der Zeiss-Aerotopograph G. m. b. H. in Jena herausgebrachtes, neuartiges Betrachtungsstereoskop. Das Gerät ist nach Angaben des bekannten Fachmannes auf dem Gebiet der theoretischen und praktischen Stereoskopie, Herrn Reg.-Rat Dr. Lüscher, dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie, konstruiert und durch Gebrauchsmuster geschützt. Wie aus den Abbildungen ersichtlich, besteht es aus zwei Teilen: einem Brückenraumglas mit zwei zusammenklappbaren Fußbügeln und einem an diesen anbringbaren Bildhalter, der für die Aufnahme sowohl von Papierbildern, als auch von Glas- oder Filmdiapositiven im Ausmaß von 6 x 13 cm eingerichtet ist. Ein handliches Pappfutteral nach Art eines größeren Brillenbehälters sorgt für die Aufbewahrung.
Die beiden Okulare sind einfache, geschliffene, plankonvexe Linsen, in 65 mm gegenseitigem Abstand fest montiert. Auf eine Verstellbarkeit dieses Abstandes wurde aus Billigkeitsgründen bewußt verzichtet, doch ermöglicht der ziemlich große Durchmesser der Linsen (freie Öffnung 24 mm) auch Beobachtern mit abweichender Pupillendistanz einen guten plastischen Effekt. Die Brennweite der Okulare beträgt zirka 90 mm, die Vergrößerung ist ungefähr 2,7fach.

Gänzlich neuartig ist das Scharfeinstellen der Okulare je nach den Augen des Beobachters. Es erfolgt in sinnreicher Weise dadurch, daß der Bildhalter in verschiedene, auf den Abbildungen gut sichtbare Kerben der Füße eingehakt werden kann, wodurch der Bildabstand jeweils der ein für allemal ausprobierten optimalen Bilddistanz des Beobachters angepaßt wird. Kurzsichtige nehmen eine näher an den Linsen liegende Fußkerbe, Weitsichtige nutzen die volle Fußlänge aus. Auf den sonst üblichen, die Herstellung wesentlich verteuernden Zahntrieb zum Scharfeinstellen konnte auf diese einfache Weise verzichtet werden. Es sei hierbei daran erinnert, daß Brillenträger jeweils diejenige Brille aufbehalten sollen, mit der sie gut in die Ferne sehen.

Das Brückenraumglas allein, also ohne Bildhalter, kann als Buchstereoskop, d. h. zum Betrachten von Stereobildern in Büchern oder in Mappen, ferner für unmontierte Stereobildpaare auch größeren Formats (z. B. Fliegerbilder) benutzt werden. Man legt hierzu die Einzelbilder auf einen Tisch, stellt das Brückenraumglas darüber und richtet das Bildpaar mit den Händen so lange gegeneinander aus, bis es den gesuchten Stereoeffekt ergibt. Hierbei wird der Bildabstand von den Okularen durch mehr oder minder weites Auseinanderklappen der Fußbügel reguliert und hierdurch die dem Auge angepaßte Scharfeinstellung bewirkt. Es ist dies wohl das erste, billige Stereoskop, das diese beiden Verwendungsmöglichkeiten einschließt, und es dürfte sich schon aus diesem Grunde eine Menge Freunde erobern.

In zusammengeklapptem Zustand wird das Gerät in einem Pappfutteral von nur 2 cm Dicke bei 7 x 16 cm Ausmaß untergebracht, wobei noch eine Anzahl Papierbilder oder Filmdiapositive mit darin Platz hat. Das Gewicht beträgt einschließlich Futteral nur 190 Gramm. Der Betrachter kann also leicht mitgenommen werden, ohne daß Größe und Gewicht störend auffallen.

Alles in allem kann gesagt werden, daß dieses neuartige Gerät recht geeignet erscheint, den Freunden der Stereoskopie durch seine vielseitigste Verwendungsmöglichkeit eine wirkliche Freude zu bereiten. Weitere Informationen.

Aus DER STEREOSKOPIKER Nr. 11 vom 15. Nov. 1933, Organ der Deutschen Gesellschaft für Stereoskopie e. V. (© Text überarbeitet von D. Schulte)